9.3.2o11.
Das Datum, das in jedem Kalender dick, rot und leuchtend angestrichen ist. München, steht daneben. oder einfach nur ein riesiges Herz, irgendein unwichtiges Detail, das F zu dem Tag mal eingefallen ist und das sie unbedingt loswerden wollte.
Heut vor einem Jahr bin ich halbkrank in die Schule, übermüdet und tot und so aufgedreht wie lang nicht mehr.
Erste Stunde Musik, in den letzten zwei Mathe. Dann schnell zu mir nachhause, Zeug holen. "Viel Spaß euch zwei", hat Mama damals ehrlich gesagt, obwohl sie nicht wollte, dass ich fahre, und hat mir ein riesiges Fresspaket in die Hand gedrückt. Und ehrlich, ich weiß sogar, was für ein Käse vor einem Jahr in meinem Brot war.
Von Klagenfurt bis Salzburg haben wir diskutiert, wann wie endlich die CDs einschalten. Von Salzburg bis München wurde durch My Chemical Romance gehört. Three Cheers For Sweet Revenge, The Black Parade, dann Danger Days. Für Bullets war zu wenig Zeit, aber beschwert hat sich keiner.
Nach ein paar Umwegen und von House of Wolves und Mama begleitet haben wir irgendwann zum Hotel gefunden. Einchecken, mit dem Portier drüber reden, was heute in München ist und was er für Musik hört (Michael Jackson, nicht das komische Elektro-Gedudel in der Hotelhalle), danach ins Zimmer.
043929 war unser Zimmercode, von dem ich bis heute immer die ersten drei Ziffern vergessen hab. Umziehen, Schminken, Fertigmachen. Ich hab keine Ahnung, wie ich das damals überhaupt geschafft hab, meine Haare irgendwie zu richten...
Dann sind wir mit Fs Dad, der darauf bestanden hat, den Weg zu kennen, durch München geirrt, bis wir irgendwann und mit einigen Diskussionen ("Ich schwöre, da sollt eine Pizzeria sein!" (da war ein alter Garten und ein Häuserblock, sonst nichts xD) - "Ich will verdammt nochmal nix essen! Du, Gee?" - "Mh, denke nicht?" ^^) vorm Kesselhaus gestanden sind.
Ein paar Leute, vielleicht fünfzig, in der Schlange vor der Halle. "Wenn in der Straße irgendwo ein Restaurant ist, gehen wir was essen. Einlass ist eh erst in eineinhalb Stunden!" Der nächste Kompromiss, wir sind weiter und wieder von der Halle weggelatscht auf der Suche nach irgendeinem Lokal, das wir nicht gefunden haben.
"Ruf an, wenn's aus ist, und zwar sofort, okay?" - "Ja, Papa..." Und ab in die Schlange, die eindeutig länger geworden ist in den letzten Minuten. Ich weiß noch genau, wie ich damals dort gestanden bin, F neben mir und x fremde Leute vor und hinter uns. Irgendwie gehören wir nicht ganz hieher, hab ich mir gedacht. Zwei komische Mädchen in einem Haufen Leute, die allesamt irgendwie.. eher zur Band passten als wir. Schwarz gefärbte Haare, rot gefärbte Haare, selbstgemachte Killjoy-Masken, Bandshirts, Gespräche über vergangene Konzerte.
"Neunundfünfzig Minuten noch." Und... warten.
Die Tiroler (yay! Landsleute!) vor uns waren mehr oder weniger die einzige Unterhaltung, die da war. Und ich denke, ich werd nie vergessen, wie wir versucht haben, nicht zu lachen, als die etwas dickliche Frau vor uns angefangen hat, zu erzählen, dass sie am nächsten Tag erstmal ein riesiges Schnitzel von Mama kriegt...
Eine halbe Stunde nach dem offiziellen Einlass hat sich endlich was getan, und wir sind optimistisch und mit neuen Vokabeln ('Pussyauto', das Highlight^^) im Gepäck immer weiter in Richtung Eingang gewandert. Über Bierflaschen, Zigaretten, Zettel und keine Ahnung, was da am Boden lag. Und meine Güte, war mir da kalt o0
Kartencheck, ein Securitytyp durchwühlt jedes noch so kleine Fach von meiner Converse-Tasche. "Lass sie rein, die hat nix." Und weitergewunken. Aber scheiße, hab ich mir da noch gedacht. Wenn da was schiefgegangen wär, ich glaub ich hätt meine Tasche zu den Bierflaschen auf den Boden geworfen und wär so da rein, durchs Fenster zur Not.
Drin hat F mich erst einmal angegrinst wie auf Crack, als wir weiter den andren Leuten nachgewandert sind. Ein kurzer Blick zum Merch-Stand, mit dem Versprechen, später sicher mal vorbeizuschauen. Und dann zielsicher nach vorne, in die... sagen wir siebte Reihe, wenn es sowas wie Reihen gegeben hätte.
Und wieder warten, diesmal auf LostAlone, die Vorband. Ich hab damals genau drei Lieder von ihnen gekannt, war damit aber auch schon gut unterwegs - genau ein Mädchen schräg vor mir mit einem schwarzen Shirt und orangeroten Haarem hat ein bisschen mitgesungen/mitgewippt, und das wars so halbwegs.
Nach einer halben Stunde sind die drei wieder abgezogen, und... wieder warten, oh Wunder. Aber diesmal nicht auf eine Vorband, sondern den Hauptact. Auf My Chemical Romance, verdammt.
Mein Gott, waren wir aufgedreht. Die Leute sind immer näher zusammengerückt, jeder Roadie ist fast schon niedergekreischt worden von ein paar Fans. Vor allem der eine, der ein bisschen aussah wie Ray Toro... irgendwer hat immer gedacht, es ist er, und das Geschreie ging wieder los. Und bei einem ziemlich kleinen Roadie, der mit Kapuze am Kopf herumgerannt ist, war#s auch sehr cool. Zitiere Mädchen vor uns: "Ist das Frank?" *ziemlich viele Köpfe im Umkreis von 2 Metern heben sich und fixieren den Typen, der eindeutig nicht Frank Iero war* ^-^
Irgendwie haben wir die Zeit auch noch überlebt, während wir krampfhaft versucht haben, den Kobra-Kid-Helm auf Mikey Ways Bassverstärker zu fotografieren. (genauer gesagt: *F hebt das Handy* *fünf Roadies stellen sich ganz zufällig vor den Helm* F: *ffffuuuuu* *senkt das Handy* *Typen sind wieder weg* - und das Spiel ca. 3 Mal xD)
Und dann... Licht aus. Die Massen rücken noch näher zusammen. Gekreische, das immer und immer lauter wird.
Und vor uns ist die Bühnenbeleuchtung angegangen und das erste, was ich gesehen hab, war Ray Toro drei Meter vor mir, mit dem wahrscheinlich riesigsten Grinsen im Gesicht, das ich je gesehen hab. Der nächste Blick zu Gerard Way, der mit seinen damals noch feuerlöscherroten Haaren ein bisschen auf der Stelle gehüpft ist, während Look Alive, Sunshine begleitet von viel Geschreie durch die Halle gedröhnt ist.
Hinter ihm Mikey Way, an seinem üblichen Ausgangsplatz zwischen Frank und G. Und ganz links, am weitesten von uns entfernt Frank Iero, mit seinen damals frisch geschnittenen kurzen, schwarzen Haaren.
Und... BÄM. Ich glaub, der Anfang von Na Na Na war der Moment, wo bei mir irgendwie der Schalter herumgelegt war. Typisches Konzertfeeling, würde ich sagen - jedes menschliche Bedürfnis à la Hunger, Durst oder Müdigkeit - weg. Jegliches Peinlichkeitsgefühl - weg. Die Gewissheit, dass man eigentlich krank zuhause sein sollte - sowieso weg.
Einfach nur meine Lieblingsband, drei Meter vor uns. Meine beste Freundin, direkt neben mir. Leute, die gleich denken wie ich, um mich herum. Und Musik, Texte, die mir mehr bedeuten als viele andre Dinge im Leben.
Genaue Liederreihenfolgen kann ich beim besten Willen nicht rekonstruieren. Der Anfang war Look Alive, Sunshine - Na Na Na - Hang 'Em High - Give 'Em Hell Kid und die letzten zwei Lieder Common People (gecovert von Pulp) und Bulletproof Heart. dazwischen.. Brei. Brei bestehend aus Sing ("They gonna try and clean you up, Munich, what'cha gonna do about it? They gonna try and pretty up your face, what'cha gonna do about it?! You gonna sing about it! You gonna... SING about it!"), Planetary (GO!) (angefangen mit einem "DO YOU WANNA DAAAANCE?" von Gerard ♥), The Only Hope For Me Is You (wie wir alle abwechselnd mit G "Remember me" gebrüllt haben.. ich glaub, das vergiss ich nie.), Summertime (überall knutschende Pärchen. und damn, ja, das fand ich dann doch sehr, sehr süß^^ und das Lied ist seit dem das offizielle 'Ich-hug-ganz-spontan-meine-beste-Freundin'-Lied von mir und F, weil sie mich mittendrin einfach umarmt hat :3 böse Pärchenstimmung! *grins*), Destroya (oh mein Gott. mehr sag ich dazu nicht *-*), The Kids From Yesterday (ich weiß, warum's eins meiner Lieblingslieder ist. das ist Live einfach so ein.. eigenes Feeling, irgendwie, vor allem mit dem Text..), Vampire Money (der Anfang, oh mein Gott. alle haben perfekt geantwortet bis auf Mikey, der hatte kein Mikro :D), Welcome To The Black Parade (wenn ich zu dem Zeitpunkt sowas wie überschüssige Flüssigkeit in meinem Körper gehabt hätte, hätt ich am Anfang so geheult. und ich heul echt absolut nicht leicht. aber das.. keine Ahnung, das hat mir so den Rest gegeben. allein nach allem, was in den zwei Monaten davor passiert ist.), House Of Wolves, Cancer (ganz langsame Version nur von Gerard.. so wunder, wunderschön. *seufz*), Mama, Teenagers ("The next song is especially for you guys... it's what we used to be. This song is called Teenagers!" <3), Famous Last Words (drei Worte: OMG. so.. perfekt.), Helena (mit dem klassischen Whoa-Kanon-Nachgesinge am Anfang. *-*), I'm Not Okay und Thank You For The Venom.
Während der ersten Zugabe, also Common People, hab ich F dann irgendwie nach hinten gezerrt, raus aus den größten Menschenmassen, weil ich echt gedacht hab, ich kipp gleich um. Okay, kein Wunder, weil meine körperliche Verfassung war echt nicht gut, aber na ja.. Panik war trotzdem da.
Dann haben wir während im Hintergrund Bulletproof Heart lief, den Merch-Stand belagert. Für F sind's schleißlich die Raygun-Jacke und die Killjoy-Tücher geworden, für mich mein erstes und immer noch so heiß geliebtes graues MCR-Shirt... und ich verfluch mich heute noch, dass ich damals nicht mehr gekauft hab, aber was soll's.
Und dann war's vorbei. F und ich sind draußen vor der Halle gestanden, sie mit ihrem Handy, ich konzentriert, nicht umzukippen oder auf den Gehweg zu kotzen, so destroyed war ich. Destroyed, aber so verdammt glücklich. Eine letzte fertige Konzert-beste-Freunde-Umarmung, ein paar seltsame Blicke von andren Leuten, die mir ehrlich egal waren. Und dann sind wir mit Fs Dad kurz nach Mitternacht zu McDoof und haben zwei große Fantas gekauft, damit wir irgendwie bis zum Hotel überleben.
Und heute sitz ich da, ein Jahr später, und hör auf meinem iPod die Playlist mit den Liedern vom Konzert durch und schau schlechte Konzertvideos auf YouTube, die Konzertkarte und die Zeichnung, die F in der Früh in meinen Spind geklebt hat, neben mir.
F und ich sind heut genau so in die Schule wie vor einem Jahr. Die gleiche Flickenjeans, das gleiche schwarze Shirt, die gleiche graue Strickjacke wie beim Konzert. Sie mit meinem Military-Shirt, weiten Jeans und ihrer alten schwarzen Jacke. Ich hab sogar meine grauen, zerrissenen Converse wieder ausgegraben, das gleiche rote Armband wieder getragen, mit dem ich mir mitten im Konzert die Haare zugebunden hab. Bin in der Früh durchs Bad gehetzt, um mich genau gleich zu schminken wie vor einem Jahr - smaragdgrüner Eyeliner und schwarzer, wie immer ziemlich großzügiger Kajal.
Wenn mich wer fragen würd, was der schönste Tag meines Lebens bis jetzt war, würde ich ohne Zögern sagen, dass es der 9.3.2o11 ist. Ich meine, die Organisation war damals nicht perfekt. Mir ging's nicht perfekt, sowohl körperlich als auch seelisch. Aber das Konzert war so nahe an der Perfektion dran, dass der Rest einfach so egal ist.
Und damit verlass ich euch jetzt. Mit einem mehr oder weniger Konzertbericht, ein paar Erinnerungen und Erzählungen von dem Tag, an dem ich erst noch durchgedreht bin, weil ich nur im gleichen Land wie meine Lieblingsband war.
Danke an der Stelle natürlich an
Franzy, weil sie einfach awesome ist und die beste Konzertbegleitung, die man sich wünschen kann. ♥ und an ihren Dad, der uns damals mit uns quer durchs Nirvana gefahren ist und sogar unsre Musik ausgehalten hat. und of course My Chemical Romance, the band who carries my heart. Weil ich keine Ahnung hab, wo ich heut ohne ihre Musik wäre, ob ich überhaupt hier wäre und.. ja. Weil ich ihnen einfach viel mehr verdanke, als ich in ein paar mickrigen Sätzen sagen könnte.
Love & stay beautiful,
Lina